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Auf dem Platz vor der mittelalterlichen Zitadelle von Aleppo rennen an diesem Apriltag Kinder um die Wette. Es riecht nach Apfeltee, an Ständen verkaufen sie Zuckerwatte am Stiel, der Muezzin ruft heiser zum Mittagsgebet. Man könnte glauben, es herrsche so etwas wie Normalität. Fast.

Folgt man dem staubigen Schotterweg, der vom Platz in die engen Gassen der Altstadt führt, ist das Gefühl von Leichtigkeit verflogen. Die Häuser stehen hier dicht an dicht, doch von vielen ist nicht mehr übrig geblieben als eine Fassade, eine halbe Treppe, Haufen von Dachziegeln. Unter den Schutthaufen liegen noch Leichen verborgen, es wird Jahre dauern, sie alle zu bergen.

Zwischen der Zitadelle und der Altstadt verlief jahrelang die Front, mitten durch die Stadt. Den Westen, einschließlich der Zitadelle, hielten die Truppen des Regimes. Den Osten mitsamt der Altstadt kontrollierten Rebellen. Bis 2016 die Truppen des Regimes die Rebellen in Aleppo besiegten, kurz vor Weihnachten. Heute hat das Regime wieder in der ganzen Stadt das Sagen: im Westen, wo alles nach Normalität aussieht, wo Cafés und Läden die belebten Straßen säumen. Und im Osten, wo viele Straßen von Geröll verstellt sind, darin Fragmente ausgelöschter Leben: Matratzen, zerrissene Pullover, einzelne Sandalen. 

Syrien - Eindrücke aus einem zerstörten Land ZEIT-ONLINE-Redakteurin Andrea Backhaus ist für eine Woche durch Syrien gereist. Mit der Videokamera hat sie Eindrücke festgehalten.

Drei Frauen, Schwestern, schlendern an der Zitadelle vorüber. Die älteste von ihnen, eine Lehrerin um die 30, erzählt. Ihr Haus liege nicht weit von hier, nahe der Front, die keine mehr ist. Während der Kämpfe mussten sie nach Anbruch der Dunkelheit zu Hause bleiben, nachts flogen Raketen in ihr Viertel. Nun könnten sie wieder rausgehen, sagt die Frau und versucht ein Lächeln. Dann wird ihr Blick starr. Sie denke oft an das Aleppo ihrer Jugend zurück. Den Duft von Kardamom, der durch die engen Gassen des Basars zog. Die Händler, die lautstark um Kundschaft warben. Das Gemurmel, das durch die Mauern der Hamams drang. Nichts sei davon mehr übrig, sagt sie leise. Man habe ihre Stadt, ihre Geschichte zerstört. Wer genau? Sie zögert. Alle, sagt sie dann.

Nirgendwo haben die Rebellen und das Regime so hart gekämpft wie in Aleppo. Seit das Regime hier siegte, ist es im ganzen Land auf dem Vormarsch, erobern Baschar al-Assads Truppen ein Rebellengebiet nach dem anderen. Bis der Diktator wieder ganz Syrien kontrolliert, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit.   

Zerstörtes Haus in der Altstadt von Aleppo © Andrea Backhaus für ZEIT ONLINE

Hier, wo er die Macht schon zurückhat, zeigt er das auch. In Aleppo prangen Plakate des Präsidenten an der Zitadelle, an Ministerien, Schulen, Geschäften. Entlang der großen Straßen wurden Masten mit der syrischen Flagge errichtet. Militärpolizisten patrouillieren. Niemand soll vergessen, wer jetzt wieder das Sagen hat.

Aleppo steht auch dafür, wie es in Syrien weitergehen könnte. Wie geht das Regime dort vor, wo es gesiegt hat? Wie soll es aussehen, das neue Syrien des alten und neuen Diktators Assad?

Assad scheint sich seines Sieges sicher genug, um wieder ausländische Journalisten ins Land zu lassen. Wer in diesen Tagen nach Syrien reist, bekommt jenen Ausschnitt zu sehen, den er zeigen will: die Gebiete unter seiner Kontrolle, großflächig zerstört, aber ruhig, mit Menschen, die es nicht wagen würden, ihn zu kritisieren. Eine Aufpasserin des Regimes begleitet alle Interviews. Viele Interviewte möchten darum ihren Namen nicht nennen, auch halten sie sich mit Kritik am Apparat zurück. Die Gespräche bleiben zwangsläufig distanziert.

Aktuelles Satellitenbild von Aleppo

Planet Labs Inc, Stand: 27. März 2018 © Grafik: ZEIT ONLINE

Dass das Regime so eine Reise wieder zulässt, hat auch mit Geld zu tun. Assad braucht eine positive Berichterstattung. Er will sein Land, für dessen Zerstörung er größtenteils selbst verantwortlich ist, wiederaufbauen. Und dafür benötigt er ausländische Geldgeber. Ende April findet in Brüssel eine erste Geberkonferenz statt. Wenn die Politiker dort zusammenkommen, sollen sie Bilder im Kopf haben, die suggerieren, dass dieser Präsident vielleicht keine Freiheit verspricht, aber Stabilität.